Marathon-Weltrekord-Entwicklung
Analyse - wann wird unter 2:00 Stunden gelaufen?
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Wann laufen Männer Marathon unter 2:00 Stunden?
Eine ausführliche Analyse mit 1 Tabelle und 3 Grafiken
Autor / Copyright:
Herbert Steffny (12.4.2019, Sie können gerne hierhin verlinken)
(gekürzt erschienen in einer früheren Version auch bei Laufreport.de)

Eliud Kipchoge läuft Weltrekord 2:01:39 Stunden Berlin 2018
Im Ziel und am Ziel seiner Träume! Der Kenianer Eliud Kipchoge läuft in Berlin
2018 den Fabelweltrekord von 2:01:39 Stunden!
(Foto, Copright: Herbert Steffny)


Während der Marathonweltrekord von Paula Radcliffe aus London 2003 mit 2:15:25 Stunden seit einiger Zeit scheinbar außer Reichweite liegt, haben die Männer den Abstand zu den Frauen in den letzten Jahren wieder vergrößert. In Berlin 2014 stellte zunächst der Kenianer Dennis Kimetto mit 2:02:57 Stunden eine neue Rekordmarke auf und unterbot dabei erstmals die 2:03 Stunden-Schallmauer, dann zertrümmerte der Olympiasieger Eliud Kipchoge regelrecht die Marke seines Landsmanns beim Berlin Marathon 2018. Und wieder flammte die Diskussion und Spekulation auf, ob, wann und wo die 2:00 Stundengrenze unterboten wird. Bei der Pressekonferenz beim Berlin Marathon waren sich die Jounalisten einig, dass wenn es jemand derzeit schaffen könnte, dann nur Kipchoge. Der Meister selbst, der in Monza 2017 bei einem inoffiziellen Retortenrennen bereits mit 2:00:25 Stunden an der Marke knapp vorbeischrammte, überraschte danach gefragt, dass ihm in der Sammlung eigentlich noch eine 2:02er Stunden Zeit fehlen würde. Gelächter im Saal. Zuletzt war der 2011 tragisch verstorbene Landsmann und Olympiasieger von 2008 Sammy Wanjiru so kühn  von sich zu behaupten diese magische Grenze zu unterbieten und auch Kimetto, dessen Stern mittlerweile unterging, traute sich das ebenfalls zu.


Tempo 2:50,6 pro Kilometer!

Immerhin muss man seit dem 16.9.2018 schon 42,195mal 2:53 min auf 1.000 Meter laufen, um den Weltrekord zu besitzen. Das sind 20,8 km/h (siehe Tabelle). Die Eintagsfliege Ronaldo da Costa unterbot 1998 in einem wundersamen Lauf in Berlin als Erster die 20km/h Grenze. Die Frage ist auch. ob sich der 34-jährige Kipchoge nach einer langen erfolgreichen Karriere noch ausreichend motivieren kann? Vom Junioren-Crossweltmeister und 5000 Meter Weltmeistertitel (beides 2003) bis hin zum Olympiasieg und Weltrekord im Marathonlauf (2016 und 2018) ist eine lange Spanne. Eigentlich könnte man nun einen Strich drunter ziehen und als einer der erfolreichsten Langstreckenläufer, wenn nicht sogar der Erfolgreichste in die Annalen eingehen. Aber vielleicht ist die Motivation gerade die 2:00 Stunden Grenze? Für den Weltrekord 1:59:59 Stunden wäre ein Tempo von 2:50,6 min/km nötig. Wachsen die Bäume weiter in den Himmel?


Die Entwicklung des Marathon Weltrekordtempos (Auswahl):

Läufer und Jahr Weltrekord Zeit/km je 10km km/h
       
Abebe Bikila (ETH) 1964 02:12:12 03:08,0 31:19,8 19,1
Derek Clayton (AUS) 1967 02:09:37 03:04,3 30:43,1 19,5
Carlos Lopes (POR) 1985 02:07:12 03:00,9 30:08,7 19,9
Ronaldo da Costa (BRA) 1998 02:06:05 02:59,3 29:52,9 20,1
Haile Gebrselassie (ETH) 2008 02:03:59 02:56,3 29:23,0 20,4
Dennis Kimetto (KEN) 2014 02:02:57 02:54,8 29:08,3 20,6
Eliud Kipchoge (KEN) 2018 02:01:39 02:53,0 28:49,8 20,8
Der Wunderläufer im Jahre 2029 ? 01:59:59 02:50,6 28:26,1 21,1


Die Entwicklung beim Marathon der Männer hat sich enorm beschleunigt. War vor zehn Jahren der Äthiopier Haile Gebrselassie noch der klare Dominator, so ist die Dichte der Topläufer hinter Kipchoge momentan deutlich größer geworden. 2007 und 2008 lief Haile jeweils in Berlin Weltrekord und führte die Jahresweltbestenlisten 2007 in 2:04:26 Stunden mit über zwei Minuten und 2008 in 2:03:59 Stunden mit 1:16 Minuten Vorsprung an. Doch mehrere Kenianer und Äthiopier rennen mittlerweile in Bereichen von 2:04 und schneller. Der Weltrekord scheint aber nach der Ära Gebreselassie fest in kenianischer Hand zu sein. Zunächst holte der zum Stamme der Kamba gehörige Patrick Makau 2011 den Rekord vom Äthiopier nach Kenia. 2013 entführte der zum Stamme der Kalenjin gehörige Wilson Kipsang den Rekord ins Hochland nach Iten. Dann stibitzte Dennis Kimetto die Krone in die nur 32 Kilometer entfernte und rivalisierenden Metropole Eldoret. Eliud Kipchoge vergrößerte nun den Abstand zu Gunsten Eldorets.

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Marathon Weltrekord besser als 10.000m Marke!

Ein interessanter Vergleich: wie steht der Marathonweltrekord im Verhältnis zum 10.000 Meter Weltrekord? Nehmen wir einfach die Standardformeln aus meinem Großen Laufbuch und berechnen daraus die mögliche Zeit, so folgert aus dem 10.000 Meter Weltrekord von 26:17 Minuten aufgestellt durch den Äthiopier Kenenisa Bekele eine mögliche Zeit von 2:02:38 Stunden! Das ist fast genau eine Minute langsamer als der momentane Weltrekord von Kipchoge, was dessen Ausnahmestellung unterstreicht. Allerdings muss man auch berücksichtigen, dass die 10.000 Meter Strecke heute zugunsten des Straßenlaufs vernachlässigt wird (siehe auch weiter unten im Text).

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Die Gründe für die rasante Weltrekordentwicklung

Was sind die Gründe, dass sich der Marathonweltrekord in den letzten Jahren weiterhin verbessert hatte? (Über-)Kritische Stimmen vermuten natürlich sofort Doping im Spiel, aber damit macht man es sich trotz aktueller Fälle zu leicht. Nach den Daten der Welt-Anti-Doping-Agentur WADA wurden die Kenianer von allen Nationen in der Leichtathletik am häufigsten kontrolliert, die prozentuale Quote der positiven Proben ist aber unter den Nationen die geringste! Auszuschließen ist Doping natürlich nicht und es gibt auch schwarze Schafe wie Matthew Kisorio oder die Überläuferinnnen Rita Jeptoo und Jemima Sumgong (alle aus dem Managerstall Rosa Associati) auch in Kenia, aber es müsste noch deutlichere Leistungssprünge oder auch isolierte „Ausreisser-Leistungen“ geben. Die extrem große Leistungskonstanz gerade von Kipchoge spricht eher für ihn.

In der Tat steigt die derzeitige Entwicklung stetig an (siehe auch Grafik 3 unten) und korreliert eher mit der immer größer werdenden Leistungsdichte in Kenia, Äthiopien und bald wohl auch in Uganda. Das war ähnlich in Deutschland als beispielsweise 1985 sage und schreibe 35 Läufer unter 2:20 Stunden rannten, ein Produkt aus einer damals erheblich größeren Basis von leistungsorientierten Läufern im Bereich von 2:20 bis 3:00 Stunden. In Frankfurt 1985 rannten 1.735 Läufer unter 3:00 Stunden, eine Zahl, die in Berlin derzeit bei fünfeinhalbfach höherer Finisherzahl nicht erreicht wird. Die kontinuierlichen Verbesserungen sind somit eher ein statistisch zu erwartendes Phänomen. Fast trivial: je mehr Kinder und Jugendliche (in Afrika) Läufer werden wollen, desto mehr Talente werden auch gefunden.

Laufen mit den kenianischen Kindern
Die Talente von übermorgen haben noch scharenweise Spass am Laufen.
Eine typische Szene bei einem meiner Dauerläufchen in Kenia.
(Foto: Nicole Lönneker)



Idole, Talentreservoire, soziale Motivation und Gruppentraining

Schaut man sich in Eldoret oder Iten um, so trainieren dort zahlreiche große Gruppen mit ihrem Idol und Meister. Innerhalb von zwei Stunden können einem hier ein halbes Dutzend Weltmeister, Weltrekordler oder Olympiasieger über den Weg laufen. Viele von den noch nicht etablierten "Mitläufern" rennen in den Gruppen der Champions mit, kommen aber nie oder selten zu einem Auslandsstart, um ihr Potential zu zeigen oder in Preisgeld umzumünzen. Die Aussicht auf den sozialen Aufstieg ist neben viel Bewegung in der Kindheit also die Haupttriebfeder des Laufwunders. Die kenianischen Kinder und Jugendlichen aus den Lehmhütten sehen, wie die Laufstars in der Umgebung Steinhäuser und Villen bauen und dicke Autos fahren, Supermärkte, Hotels und Mietshäuser besitzen und wollen es ihnen gleich tun. So wundert es einen Insider kaum, dass Dennis Kimetto 2012 mit seinem „Lehrer“ und Trainingskumpel Geoffrey Mutai nach Berlin durfte und dort gleich in 2:04:16 Stunden, brav eine Sekunde hinter seinem Meister bleibend, das damals weltschnellste Marathon-Debüt hinlegte. Im Training rennen diese „hungrigen Underdogs“ das gleiche Programm wie der Boss der Gruppe. Kein Wunder also für Kenner, dass sie auch im Wettkampf dasselbe leisten können.

Wilson Kipsang in seiner Trainingsgruppe in Iten Kenia
Eine von vielen Trainingsgruppen, die im Kamariny Stadion von Iten, Eldoret oder
Umgebung anzutreffen sind. Es rennen rund 30 Läufer mit dem Ex-Weltrekordler
Wilson Kipsang (Mitte, orangenes Trikot) beim Intervalltraining ums Stadionoval.
(Foto, Copyright: Herbert Steffny)


Mit Unbedarftheit zur Höchstleistung - so wie der Nachbar

Hinzu kommt in Afrika eine erfrischende Unbedarftheit. Wenn Du mit den Weltbesten trainierst, orientierst Du Dich automatisch an den höchsten Standards. Wieso sollte man also Angst vor einem Rekord haben? Ein Kenianer zaubert aus dem Computer oder Lehrbuch keinen unnützen Ballast über die Strategie des Gegners oder wo dessen Limit sein könnte. Nichts ist unmöglich. Man läuft einfach vorne mit, und wenn man das in Iten oder Eldoret im Training kann, dann läuft man auch in London, Berlin oder New York an der Spitze mit. Das schafft Selbstbewusstsein. Insofern ist die Frage „Wann läuft einer unter 2:00 Stunden?“ eine zwar interessante, aber typisch akademische Diskussion von Statistikern, Journalisten, Trainern und Athleten unseres Kulturkreises. Ich glaube nicht, dass in Kenia diese Frage eine wirklich große Rolle spielt. Es gibt kein so ausgeprägtes historisches Bewusstsein über die Entwicklung des Weltrekords. Der Weltrekord ist machbar Herr Nachbar! Man tut einfach mutig das, was der Meister aus der Nachbarschaft auch versucht oder vorgemacht hat. 


Schulcrossläufe und einheimische Trainer

Ich erinnere mich noch gut, dass uns der Atem stockte, als der hier damals unbekannte Äthiopier Belayneh Densimo 1988 den Weltrekord in Rotterdam mit 2:06:50 auf unter 2:07 Stunden schraubte. Vor dieser Zeit hat heute keiner mehr Respekt. Diese akademisch-psychologischen Barrieren, wie im Hochsprung z.B. die 2,40 Meter Grenze, kennen die Afrikaner gar nicht. Hinzu kommen weitere leistungsfördernde Entwicklungen in Kenia: beispielsweise Schulcrossläufe über 6.000 bis 8.000 Meter als Sichtungsrennen oder Preisgeldrennen bereits im eigenen Land. Eine verstärkende Wirkung haben einheimische Trainer, teilweise die Top-Läufer der ersten Stunde, wie Patrick Sang, der Coach von Eliud Kipchoge, die ihre Landsleute besser als weiße Manager ansprechen, verstehen und trainieren können und Ihr eigenes Know-How an die Landsleute weitergeben. Viele weitere Gründe zur sozialen Motivation und der Triebfeder der Kenianer habe ich in einem ausführlichen Essay in meinem Buch „Das große Laufbuch“ dargelegt.

Schüler beim Laufen im Kamariniy Stadion in Iten
Da rennt die (Barfuss-)Weltklasse von morgen im Kamariny Stadion von Iten. Die Nähe zu
den erfolgreichen Idolen motiviert auch den Nachwuchs es ihnen gleich zu tun.
(Foto, Copyright: Herbert Steffny)



Biologische Grenze - geplante Rekorde und Profiläufer

Weltrekorde sind selbstverständlich spektakulär und der Verdacht läuft immer mit. Aber wissen wir überhaupt was möglich ist? Erst wenn ganz viele Talente Marathon laufen, werden die biologischen Grenzen des Menschen wirklich ausgetestet. Die für uns damals schon erstaunlichen Leistungen der 60er, 70er oder 80er Jahre waren eben nur das Abziehbild einer viel geringeren Leistungsdichte einer überwiegend von Weißen oder Japanern dominierten Weltspitze. Die Lebens- und Trainingsbedingungen, Schuhmaterial usw. haben sich zwischenzeitlich auch für Afrikaner verbessert. Die Top-Marathons werden heute unter möglichst idealen Bedingungen (optimiertes Streckenprofil, Startzeit, zu erwartendes Wetter usw.) für die Elite durchgeführt. Der Brite Steve Jones rannte 1984 in Chicago als letzter in 2:08:05 Stunden noch einen Marathonweltrekord ohne Tempomacher. Danach begann zunächst Rotterdam alles für den Weltrekordlauf des Portugiesen Carlos Lopes (2:07:12 Stunden, 1985) zu optimieren.

Windschatten-spendende Betreuungsmotorräder, windbrechende Hasen oder Führungsfahrzeuge mit modernen Uhren, auf denen die Zwischen- und Zielzeiten hochgerechnet werden, gab es bis in die 1980er Jahre nicht. Ebenso keine vom Veranstalter gestellten Betreuer wie in Berlin, die auf dem Rad vorausfahrend an den Verpflegungsstationen ihrem zugeordneten Topläufer die Trinkflasche reichen. Die ganz schnellen, flachen Strecken (wie Berlin, Chicago, Rotterdam, Frankfurt, London) werden zunehmend weiter optimiert mit weniger Kurven, Brücken usw..  Zum Leistungsanreiz gehören auch die Preisgelder seit den 1980er Jahren, die den Beruf des Marathonprofis überhaupt erst geschaffen haben. Seit den 1990er Jahren kamen dadurch angelockt v.a. die Kenianer und Äthiopier in Scharen hinzu. Und man konnte es sich im (marathongerechten) Alter von über 30 Jahren auch noch leisten weiter Leistungssport zu betreiben.

Grafik 1

 Alle Marathonläufer und Kenianer unter 2:10 Stunden
Grafik 1: Den Marathonlauf entdeckten die Kenianer erst sehr spät. Kaum registriert wurde
die Leistung 2:09:45 von Joseph Nzau 1983. Erst der Weltmeistertitel von Douglas Wakihuri
1987 in Rom und die Siege von Ibrahim Hussein in New York, Boston und Honolulu führten
zu einem Marathonboom der Extraklasse. 2018 sind rund 50% der Eliteläufer Kenianer.


Marathon entdeckten die Kenianer erst spät

Die Kenianer (Grafik 1) wussten 1988, als ich damals als Pionier im Hochland in Iten trainierte, noch wenig vom Marathon. Die Äthiopier galten als die Marathonläufer in Afrika, denn mit den Olympiasiegen in Weltrekordzeit von Abebe Bikila 1960 und 1964 und durch Mamo Wolde1968 in Mexiko City waren sie dem südlichen Nachbaren damals um Längen voraus. Meine langen 35 Kilometer Läufe im kenianischen Hochland waren für die einheimischen Läufer 1988 noch erklärungsbedürftig. Als prominentester Vorreiter Kenias darf Ibrahim Hussein gelten, der die Marathons von Boston, New York und Honolulu gewann. Der Kenianer Douglas Wakihuri, wurde zu aller Überraschung 1987 beim Hitzelauf in Rom Weltmeister. Der Vorläufer erlernte den Marathonlauf aber in Japan. Danach sinnierte man in Kenia erst, ob das Land der bis dahin Hindernis-, Cross-, und Bahnläufer auch Marathon laufen kann. Aus heutiger Sicht kaum zu glauben! Im Gegenteil: den klassischen leichtathletischen Aufbau von den Unterdistanzen zum Marathonlauf zu entwickeln, ist in Afrika weitgehend  passé. 18-Jährige versuchen sich heute gleich beim Marathon. Der Marathonweltmeister 2015 Ghirmay Ghebreselassie aus Eritrea war bei seinem Sieg erst 19 Jahre alt! Alles konzentriert sich auf den lukrativeren Straßenlauf, die Bahndistanzen 5.000 und 10.000m stagnieren derzeit in der Weltspitze. Logische Konsequenz: noch mehr Talente tummeln sich auf der 42,195 Kilometer Distanz!


Grenzen des Wachstums auf höchstem Niveau

Trotz dieser rasanten Entwicklungen, von der 2:00 Stunden Schallmauer sind auch diese unbedarften, jüngeren, mutigen, hochtalentierten afrikanischen Läufer noch ein Stück entfernt. War die Erstürmung der Weltbestenlisten der letzten Jahrzehnte (Grafik 2) für mich also eher eine statistisch zu erwartende Konsequenz der stetig zunehmender Dichte enorm motivierter afrikanischer Spitzenläufer, so bleibt die Frage: wieviel Talente kann man im Hochland von Kenia oder Äthiopien noch finden? Möglicherweise ist die Entwicklung bald ausgereizt und es kommt zu einer Stagnation auf hohem Niveau. Tansania hätte Potential, aber das Land interessiert die Welt der Manager bisher kaum. In Uganda hat der Olympiasieg von Stephen Kiprotich unterdessen bereits einen klaren Leistungsschub bewirkt und in diesem März wurde Joshua Cheptegei vor seinem Landsmann Jacob Kiplimo Crossweltmeister in Dänemark. Aus Uganda wird auch auf der Marathonstrecke etwas zu erwarten sein. Das bettelarme Eritrea hat durch den Weltmeister Girmay Ghebreselassie einen Schub erfahren. Wieviel  weitere Ressourcen gibt es noch für einen Marathon-Leistungsschub in Richtung Sub-2:00 Stunden?

Grafik 2

Vergleich der Weltspitze Marathon 1985 und 2018
Grafik 2: Während 2018 überwiegend Kenianer und Äthiopier die Weltspitze beherrschten,
dominierten 1985 die Europäer die Top-30 Bestenliste mit einer größeren Leistungsdichte
als heute! 9 Europäer unterboten damals die 2:10h Grenze, darunter zwei Deutsche.


Erlebnis statt Ergebnis und Chinas Männer spielen Ping Pong

Von der 1. Welt (Europa, USA, Australien usw.) erwarte ich kaum eine weitere Steigerung, eher Stagnation und Rückgang. Bei uns laufen zwar mittlerweile Zigtausende Freizeitläufer Marathon, aber im Vordergrund steht mehr und mehr die Fitness und das Erlebnis, statt dem Ergebnis. Die sicher vorhandenen Talente stehen mit 18 Jahren bei uns allerdings beispielsweise auf dem Surfbrett, betreiben bestenfalls als Ausdauersport den image- und medienträchtigeren und Material-intensiven Triathlon, Biathlon oder eben nichts. Bei uns schmeißt man von wenigen Ausnahmen abgesehen angesichts der afrikanischen Übermacht längst die Flinte ins Korn (siehe Grafik 2 und Grafik 3). Wir finden unsere Talente einfach nicht mehr, obwohl ich überzeugt bin, dass ein naturnah aufgewachsenes Kind in der Eifel oder im Schwarzwald das Potential für 2:06 oder auch 2:04 Stunden hätte. Aber warum sollten unsere Kids ausgerechnet Marathon laufen, wo doch da die Konkurrenz am höchsten ist? China, ein Milliarden Volk, hätte Potential, aber die Ausdauerleistungen des starken Geschlechts sind mir dort ein Rätsel. Spielen die Männer dort vielleicht nur Ping Pong? Die Mongolei, Korea und vor allem Japan kann rund um das Reich der Mitte Marathon unter 2:10 Stunden laufen. In China sind scheinbar nur noch die Frauen auf Weltklasseniveau. Die chinesische Männerbestzeit 2018 war nur 2:15:53 Stunden!!! Mittlerweile erschien mein Bestseller "Das große Laufbuch" in einer chinesischen Edition. Vielleicht löst das einen Laufboom aus? ;-)) 

Grafik 3: 
Weltbestenlisten - Wann Marathon unter 2:00 Stunden
Grafik 3: Nach meiner Regressionsanalyse wäre der Weltrekord im Jahre 2029
unter 2:00 Stunden. Voraussetzung - der Trend geht genauso weiter, was aber
sehr fraglich ist. Die deutschen Jahresbestzeiten sind dagegen seit der
Jahrtausendwende erschreckend rückläufig. Nur Arne Gabius bildet
eine erfreuliche Ausnahme und biegt die Kurve etwas nach unten!


Erfreuliche Ausnahme: Arne Gabius lief 2015 in Frankfurt 2:08:33 Stunden!



Fällt die 2:00 Stunden Grenze 2029?

Doch nun zurück zur Ausgangsfrage: wann wird unter 2:00 Stunden gelaufen werden? Das Werbegedöns um den Nike-Zoom-Vapor-Fly 4%-Schuh nehme ich nicht ernst. Zuende gedacht wäre, wenn der Schuh wirklich 4% bringt, Eliud Kipchoge "nur" ein 2:06:31 Läufer! Eine Beleidigung für den Champion! Vergessen wir durch Doping manipulierte Leistungssprünge, so stoppt vielleicht der Trend immer schnellere Zeiten bei den Männern zu erzielen auch knapp vor der 2:00 Stundengrenze? In der obigen Grafik 3 habe ich eine Regressionsanalyse der Jahresweltbestzeiten seit 1970 bis zum aktuellen Weltrekord und gleichzeitig der Jahresweltbestzeit von 2018 vorgenommen. Schreibt man die Entwicklung einfach fort, was eine gleichbleibende Leistungsentwicklung voraussetzt, dann wäre die 2:00 Stunden Grenze etwa im Jahre 2029 fällig (in meiner Analyse von 2009 rechnete ich dafür noch das Jahr 2032 aus). Ob das stattfinden wird, ist natürlich fraglich und wäre nur bei einer weiteren Expansion des Talentreservoirs wahrscheinlich. Stellvertretend für andere Länder wie Großbritannien, Frankreich usw. ist der Trend (blaue Linie der Grafik) in Deutschland leider gegenläufig. Wir werden im Durchschnitt im Marathonlauf immer schlechter. Respekt gebührt allerdings den (zu) wenigen Läufern, die den Kampf bei uns noch aufnehmen! Arne Gabius hat mit 2:08:33 Stunden in Frankfurt 2015 den Trend immerhin verlangsamt und gezeigt, wo es lang gehen könnte! Bleibt zu hoffen, dass in seinem Gefolge wieder mehr Deutsche den Straßen- und Marathonlauf ernsthaft und professionell angehen, so wie es der Schweizer Julien Wanders derzeit tut. Er mutierte zum Kenianer wohnt in Iten und lief bereits 2019 in Doha einen neuen Europarekord über Halbmarathon mit 59:13 Minuten!



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